Über allen Gipfeln ist Ruh'

Gebirge_Idylle
14. März 2012
1753

Zwischen Faszination und Schauer: Schriftsteller liebten und lieben die Berge
Von Proust, Rilke, Hermann Hesse, Stefan Zweig und Nietzsche bis zu Kästner und Thomas Mann: Etwas Einzigartiges müssen Schriftsteller in den Bergen gesucht – und schließlich auch gefunden haben. Einsamkeit, Stille, Weite, das Unabwägbare, Seelenreinigende, wenn übermächtige Natur und überwältigende Gefühle aufeinander treffen. „So wenig als möglich sitzen; keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung“, riet Nietzsche, der in Sils Maria seinen „Zarathustra“ schrieb. Und Thomas Mann, der 1912 seine lungenkranke Frau Katja in Davos besuchte, stellte schlicht fest: „Dieses Oberengadin ist der schönste Aufenthalt der Welt.“ Kein Wunder, dass das Engadin im Kanton Graubünden nur so strotzt vor literarischen Orten.

Angefangen bei der „Schatzalp“, jenem damals hochmodernen Sanatorium, wo sich Thomas Mann während seines dreiwöchigen Aufenthalts ausgiebig Inspirationen für seinen Roman „Der Zauberberg“ holte. Die Gästeliste des noblen Hotels „Waldhaus“ liest sich wie das „Who is Who“ des europäischen Geisteslebens. Bescheidener dagegen die Pension, in der Nietzsche sieben Sommer verbrachte und einige seiner wichtigsten Werke verfasste, heute ist dort ein Nietzsche-Museum untergebracht. Auch Heidi, die weltbekannte Romanfigur der Schweizer Schriftstellerin Johanna Spyri, lebte mit ihrem Großvater Alpöhi im Kanton Graubünden, auf einer Alm oberhalb von Maienfeld.

Heidi wird heute gerne die Schuld daran gegeben, dass „Bergliteratur“ lange nicht en vogue war, wurden die Berge als Motiv doch lange allzu lieblich verklärt. Dazu wurden sie von Nazi-Ideologen in den 1930ern gerne als die Orte auserkoren, an denen sie ihre Helden ins rechte Licht zu rücken suchten. Das ändert sich gerade. Der Schweizer Emil Zopfi gilt derzeit als der bedeutendste „Bergschriftsteller“ der Gegenwart. Und er schafft es, dieses Genre überzeugend zu bewerben.  

In dem Band „Dichter am Berg – Alpine Literatur aus der Schweiz“ heftet er sich in Essays über bergsteigende und –wandernde Autoren an die Fersen von Hermann Hesse, Max Frisch oder Franz Holer und spürt der Frage nach, warum Alpinismus und Schreiben zusammen gehören. Adrian Stokars „Literarische Wanderungen im Oberengadin“ führt zu Orten, die von Literaten, Künstlern und Musikern beschrieben oder auch verflucht wurden. Zwischen Faszination und Angst, Freudentaumel und Sturzangst – offenbar sind es die widerstreitende Gefühle, die den Reiz der Berge ausmachen. „Der Weg über den Splügen ist unbeschreiblich schön, die Via Mala ist der schauerlichste Felsenspaß der ganzen Schweiz“, schrieb bereits Goethe auf dem Rückweg seiner Italienreise im Mai 1788. Was kann spannender sein, als herauszufinden, welche Worte einem selber dazu einfallen.
 

Tipps:

Literatur: - Emil Zopfi: Dichter am Berg. Alpine Literatur aus der Schweiz. Zürich (AS Verlag) 2009. ISBN-10: 390911167X; ISBN-13: 978-3909111671. - Emil Zopfi: Über alle Berge – Geschichten vom Wandern. Unionsverlag 2010. ISBN-10: 3293004245, ISBN-13: 978-3293004245. - Adrian Stokar: Dem Süden verschwistert: Literarische Wanderungen im Oberengadin. Zürich (Rotpunkt) 2011. ISBN-10: 3858694649, ISBN-13: 978-3858694645. - Karl Stankiewitz: „Ich näherte mich den Gebirgen“: Mit Fürsten und Dichtern durch die Alpen. München (Volk) 2009. ISBN-10: 3937200584, ISBN-13: 978-3937200583.

Orte: - der Original-„Zauberberg“ in Davos - Waldhaus Sils Maria - Nietzsche-Haus in Sils-Maria - Museum Hermann Hesse in Montagnola (in der malerischen Casa Camuzzi lebte Hesse von 1919 bis zu seinem Tod 1962, hier entstanden „Siddharta“, der „Steppenwolf“ und das „Glasperlenspiel“)

Events: - Literaturfestival von Leukerbad: An atemberaubenden Orten auf 1500 Metern Höhe laden vom 6. bis zum 8. Juli 2012 rund zwei Dutzend Autoren zu über 50 Lesungen und Gesprächen ein

Bildnachweise:

Titelfoto: © Hansjörg Schulthess/pixelio

Kategorien: Gute Nacht